Ohne die Tonhöhe wesentlich zu verändern, konnte ich das Klavier der japanischen Marke Kawai, Modell CX-4S, in sich sauber stimmen. Die Stimmung ist insgesamt gut, die Präzision hoch. Im Gegensatz zur Verstimmung, die einen traurigen Charakter hatte, da in den höheren Lagen die Tonhöhe sinkend war, konnte ich das Instrument erhebend stimmen. Eine freudig erhebende Wirkung der Musik bei gleichzeitiger Entspannung ist eine wünschenswerte Kombination. Die erhebende Wirkung stellt sich durch ein besonderes Element der Klavierstimmung ein, nämlich durch die so genannte Spreizung. Diese Spreizung der Lagen orientiert sich an einem Fehler der Klaviersaite, nämlich deren Inharmonizität. Die Inharmonizität der einzelnen Klaviersaite beschreibt das Phänomen, dass die Obertöne innerhalb der Saite beim Klavier nicht dem ganzzahligen Vielfachen der Grundfreqeuenz entsprechen, sondern eben etwas gespreizter sind. Helmholtz hat herausgefunden, dass wir uns beim Hören an der Übereinstimmung der Obertöne orientieren, weshalb sich die Spreizung der Klavierstimmung als ein wesentliches Kriterium für diese Stimmung eines Musikinstruments entwickelt hat. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Helmholtzsche Resonanztheorie des Hörens begründet angezweifelt wird. Es bleibt festzuhalten, dass sich darüber für die Musik die so genannte Spreizung der Stimmung als ein interessanter Aspekt hinsichtlich der Wirkung von musikalischen Stimmungen entwickelt hat. Die Überlegungen zur und Erfahrungen im Umgang mit der Spreizung hat zumindest bei jenen Stimmern, die über den Tellerrand des jeweiligen Jobs hinaus geblickt haben, genau genommen zu einer Weiterentwicklung der Gleichtemperierten Stimmung geführt. Denn unsere bislang üblichen akustischen Tasteninstrumente hatten entsprechend den teils stark eingeschränkten Eigenschaften eine statische Stimmung. Darunter leidet bis heute das gemeinsame Musizieren von Akustikinstrumenten und somit das gesamte klassische Repertoire. Denn Sänger, Streicher und Bläser können im Zusammenspiel mit einem Akustikpiano gar nicht ihre Stärken der Intonation und darüber ihre Fähigkeit zur optimalen Gestaltung der musikalischen Intention im Interesse von Musik als Kunst der Wirkung auf die Befindlichkeit gleichermaßen von Musiker und Publikum vollständig einbringen, da sie sich an der Kompromiss-Stimmung und hinsichtlich der Intonation den absoluten Beschränkungen des Akustikpianos anpassen müssen, was im Ergebnis zu einem musikalisch eher bescheidenen Mittelmaß führt. Das fällt mangels Vergleichsmöglichkeiten nicht deutlich auf und wird aufgrund fehlender Alternativen mit einem Tabu belegt: Man spricht einfach nicht darüber.

Grundsätzlich kann die Klavierstimmung zwar optimiert werden. Doch dazu braucht es die externe Hilfe eines Klavierstimmers, also eine Hilfe, die nicht in Echtzeit während des Musizierens zur Verfügung steht. Der Klavierstimmer muss erst die Vorarbeit leisten und er muss imstande sein, die Spielräume der Spreizung entsprechend zu nutzen. Die Erweiterung zur statischen Basis-Stimmng ist die dynamische Stimmung. Das ist ein eine Art Feinstimmung, die der Musiker über die so genannte Intonation während dem Musizieren durchführen kann. Kalter Kaffee, längst bekannt, werden Sie jetzt wohl einwenden. Das stimmt, jedoch wie schon erwähnt eben nicht für die Tasteninstrumente. Für Tasteninstrumente wäre das Feature der Intonation neu. Interessiert wenden Sie jetzt ein: Ist es denn schon möglich, dass man an Tasteninstrumenten die Tonhöhe verändert? Ja, und dass dies einer der wesentlichen neuen Trends in der zeitgemäßen Musik mit Tasteninstrumenten auf dem aktuellen Stand der Technik ist, werde ich nachfolgend aufzeigen.

In Zukunft werden wir wesentlich intensiver Effekte als Ausdrucksmittel nutzen, da sie den musikalischen Kommunikationsprozess zwischen Künstler und Publikum effektiver werden lassen. Wir werden uns vermutlich schon bald gar nicht mehr vorstellen können, wie wir bislang ohne Effekte ausgekommen sind, um die musikalisch erwünschte Wirkung zu erzielen. Die Verweigungerung der Klavierbauer gegenüber diesen zeitgemäßen Technologien wird vor diesem Hintergrund immer unverständlicher, da Musik als Sprache der Gefühle konkreter wird. Das heißt zum einen, dass der Musiker noch deutlicher Emotionen ausdrücken kann. Und zum anderen werden beim Publikum Gefühle noch stärker angesprochen und ausgelöst. Die Verweigerungshaltung der Klavierbauer gegenüber dieser Entwicklung wäre gar nicht notwendig, da nämlich die neue Kategorie des Hybridklangs, also der Mischung aus akustischem Vollwertklang und digitalen Sounds sowie von Effekten, im akustischen Hybrid-Piano durchaus möglich ist. Mit dieser Einstellung könnte man für die bestehenden 8 Millionen Akustikpianos in Europa Nachrüstsätze entwickeln, die in der Lautstärke überdimensionierten Instrumente zu Una-Corda-Pianos mit nur einer Saite pro Ton und dafür mit Tonabnehmern unter den Saiten zeitgemäß umbauen. Die Verringerung der Saitenzahl reduziert den Aufwand des in Zukunft nötigen Selberstimmens deutlich. Gleichzeitig genügt eine Saite vollkommen für einen guten Piano-Ton. Die verringerte Lautstärke wird zu Hause als Wohltat empfunden. Man spart sich den Moderator bzw. die Silent-Technologien, die für den Klavierspieler mit der negativen Botschaft verbunden sind, "Man will Dich nicht (mehr) hören!"

Diskutiert und verfolgt man die Auswirkung einer stärkeren gegenüber einer schwächeren Spreizung, dann stellt man fest, dass dieses Element ganz wesentlich zur einer intensiveren und vor allem auch positiveren Wirkung der Musik beiträgt. Sie wissen ja: Gute Stimmung steckt an! In der Nebenwirkung trägt es auch zur Reduzierung der Reibung in den disharmonischen Intervallen bei. Der Schlüssel für diesen Gewinn liegt im Verzicht auf die willkürliche Festlegung, dass die Oktaven (als einziges Intervall der Klavierstimmung) rein sein müssen. Darüber wird es möglich, dass man den für eine reine Stimmung zu engen Quintenzirkel in eine Quintenspirale auflöst. Das ist historisch gesehen eine Umkehrung des Kunstgriffs, auf dem die Wohltemperierten Stimmungen und damit verbunden das Spiel mit allen Intervallen in allen Tonarten möglich wurde. Damals hat man nämlich die Quintenspirale, die entsteht, wenn man reine Quinten addiert, zum Quintenzirkel schließen können, indem man für die Wohltemperierten Stimmungen einige Quinten und später für die heute übliche Gleichtemperierte Stimmung alle Quinten gleichmäßig verkleinert hat. Nun findet eine einfache Umkehrung insofern statt, als man ein anderes Intervall, nämlich die Oktaven nicht verkleinert, sondern erweitert. Somit öffnet man den zu engen Quintenzirkel wieder zu einer Spirale, was kein Problem mehr darstellt, wenn ALLE Instrumente zur Intonation als Form des Feintunings in Echtzeit imstande sind. Diesen Fortschritt, nämlich konkret die Fähigkeit zur Intonation des Einzeltons, ermöglicht die Digitalisierung, nämlich das Überschreiten der Beschränkungen, die durch Instrumente mit festgelegten Tonabständen wie beim Tasteninstrument bislang gegeben waren. Damit wird zum einen der Spielraum der Musiker erweitert und gleichzeitig das Wirkungsspektrum der Musik optimiert. Denn der intensivere Umgang mit Effekten wird die Wirkung der Musik ganz erheblich verstärken, wie Sie in den von mir unten als Beispiel angeführten Videos bemerken werden.

In diese Richtung wird sich die musikalische Stimmung als Ausdrucksmittel entwickeln, wenn wir erst einmal mit dem Fortschritt der neuen digitalen Instrumente die Hoheit über das Feintuning in Echtzeit erlangt – und mit der Digitalisierung verbunden übrigens auch die Hoheit über den Kammerton erlangt haben, mit dem wir nachfolgend flexibel umgehen können, um eben die jeweilige Wirkung eines Musikstücks entsprechend seiner Intention optimieren zu können. Die Stichworte dafür sind der aktuell überarbeitete Standard MIDI 2.0 und hier vor allem der komplett neue Standard MIDI Polyphonic Expression (MPE), der die Ausdrucksmöglichkeiten der Musiker in eine bislang nicht bekannte Dimension erweitern wird – vor allem für die Spieler von Tasteninstrumenten!

Herbie Hancock war vermutlich der Erste, der die Möglichkeiten der Keytar, eines neuen Instruments des japanischen Unternehmens Roland, in seiner musikalischen Bedeutung erkannte und 1985 in seine Bühnen-Performance integrierte.

Cory Henry sagt, dass Herbie Hancock sein Vorbild sei. Konsequenterweise ist daher auch Cory Henry derjenige, der die Vorgaben dafür liefert, wie man das Spiel mit den Tonhöhen sowie weitere neue Effekte äußerst stimulierend einsetzt. Das ist insofern außergewöhnlich, da Cory Henrys Hauptinstrumente Tasten haben. Doch für Tasteninstrumente war das Spiel mit Effekten, und die Veränderung der Tonhöhe ist ein Effekt, unmöglich. Dabei gibt es schon seit relativ langer Zeit bei den meisten Keyboards und Synthesizern (aber nicht bei den E-Pianos die tatsächlich NUR eine digitale Kopie des Leistungsumfangs das Akustikpianos sind, und sich damit wesentlicher Möglichkeiten der Digitalisierung selbst berauben!) das Pitch- und Modulation-Wheel links neben der Klaviatur. Diese Möglichkeiten für die Tonhöhen- und Klanggestaltung blieben jedoch von den meistens vom Klavier kommenden Keyboardern traditionell unberücksichtigt, da es am Klavier außer Tasten keine weiteren Bedienmöglichkeiten gibt, sieht man einmal von den Pedalen ab. Das änderte sich erst mit Cory Henry, der nämlich von der Kirchenorgel kommt, und das heißt in USA von der Hammond-Orgel. Das Spiel mit Registern und Effekten zeichnet diesen 30 Jahre jungen Amerikaner schon seit langem aus. Selbstverständlich integrierte er daher diese Möglichkeiten am Synthesizer in sein Spiel und baute deren Wirkung schrittweise aus. In der Folge führe ich ein paar Musterbeispiele der hier angesprochenen Performance über das Spiel mit den Tonhöhen von Cory Henry in Videos bei Youtube an. Sie werden zur Seite von Youtube geleitet. Achten Sie beim Abspielen der Videos auf die lästigen Werbeeinblendungen, die sie wegklicken können. Wenn die Werbung gleich am Anfang ist, warten Sie einfach ein paar Sekunden. Sollte danach gleich die nächste Werbeeinblendung folgen, zeigt das, wie penetrant und unverhältnismäßig Google seine Unternehmenstochter Youtube als Einnahmequelle missbraucht und wir dringend eine werbefreie europäische Alternative benötigen, da wir Europäer JETZT erwachsen werden müssen. Hier also die Links zu den Videos mit der Angabe, ab welchem Zeitpunkt des relevante musikalische Element startet:

Billie Jean (mit Jacob Collier bei den BBC-Proms) ab 5:40

Lingus (mit Snarky Puppy) ab 4:18

Trade it All (The Funk Apostles) ab 3:03

Der in den Videos gehörte Umgang Cory Henrys mit der bislang dezenten Anwendung der Intonation, die eher ein Anpassungs-Mittel als ein Gestaltungs-Werkzeug war, geht unter die Haut. Das heißt, der Einsatz der Veränderung der Tonhöhe als ein gestaltendes Element hat eine intensive Wirkung und ist somit ein starker Effekt. Diese Form der Übertreibung sensibilisiert einen noch stärker für die sinnliche Empfindung der erweitert gespreizten Stimmung eines Tasteninstruments, die ich aufgrund der positiven Tendenz ihrer Wirkung schon vor einigen Jahren eine Superstimmung genannt habe. Für alle, die noch nicht über eine entsprechend mit Sensoren ausgestattete Klaviatur sowie ein Tasteninstrument mit digitalen Möglichkeiten verfügen, wie das ja auch beim Hybridpiano der Fall sein könnte, ist diese Superstimmung eine Teilhabe immerhin an der stärkeren Wirkung von Musik. Denn beim Einsatz von Effekten geht es darum, die Intention der musikalischen Aussage zu verstärken. Das kann im Ansatz auch eine musikalische Stimmung, die jedoch wie schon erwähnt den Nachteil hat, dass sich nicht während des Spielens flexibel anpassbar ist. Die Vielzahl der Saiten in unseren Pianos sowie die Zähigkeit der Physik der gespannten Klaviersaiten verhindern eine schnelle Anpassung und schränken uns im flexiblen Umgang mit den unterschiedlichen Charakteren musikalischer Stimmungen ein. Das wird sich in Zukunft ändern, wenn wir die musikalische Stimmung am digitalen Instrument passend zur emotionalen Stimmung der musikalischen Aussage manuell anpassen können. Doch auch dafür braucht es noch etwas Vorarbeit. Bleiben Sie gespannt!

Ist auch Ihr Klavier oder Flügel verstimmt? Dann finden Sie hier Leistungen und Festpreise der überregionalen Klavierstimmerei Praeludio für den Landkreis Würzburg.

Bitte beachten Sie, dass sämtliche Hörbeispiele der Klavierstimmerei Praeludio durch das Copyright geschützt sind.

Translate this for me

    Klavierstimmer, Klavier stimmen, Würzburg, Kawai, 421 Hertz, Hörbeispiele, Spreizung
    • Type: Live
    • © All rights reserved
    • Würzburg, Deutschland
    Full Link
    Short Link (X/Twitter)
    Download Video Preview for sharing