O NACHT-:
O, Nacht! Ich nahm schon Kokain,
und Blutverteilung ist im Gange,
das Haar wird grau, die Jahre fliehn,
ich muß, ich muß im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn.
O Nacht! Ich will ja nicht so viel,
ein kleines Stück Zusammenballung,
ein Abendnebel, eine Wallung
Von Raumverdrang, von Ichgefühl.
Tastkörperchen, Rotzellensaum,
ein Hin und Her, und mit Gerüchen,
zerfetzt von Worte-Wolkenbrüchen –:
zu tief im Hirn, zu schmal im Traum.
Die Steine flügeln an die Erde,
nach kleinen Schatten schnappt der Fisch,
nur tückisch durch das Ding-Gewerde
taumelt der Schädel-Flederwisch.
O, Nacht! Ich mag dich kaum bemühn!
Ein kleines Stück nur, eine Spange
von Ichgefühl – im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn!
O, Nacht, o leih mir Stirn und Haar,
verfließ Dich um das Tag-verblühte;
sei, die mich aus der Nervenmythe
zu Kelch und Krone heimgebar.
O, still! Ich spüre kleines Rammeln:
Es sternt mich an – Es ist kein Spott –:
Gesicht, ich: mich, einsamen Gott,
sich groß um einen Donner sammeln.
(Gottfried Benn, 1916)
Gedichtauswahl/Sprecher: Dr. Konstantin Bendix
Musik: Récard
Gottfried Benn
Gesammelte Werke in acht Bänden
Band 1
Gedichte, S. 53
Hrsg.: Dieter Wellershoff
Limes Verlag, Wiesbaden, 1960
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