Jedes Klavier hat so seine Geschichte. Das Klavier aus unserem Hörbeispiel hatte eine längere Auszeit. Es handelt sich um ein Instrument der Marke Kawai (Japan), ein Modell CX-4S, das die vergleichsweise recht hohe Seriennummer 1 696 235 hat. Vergleicht man die Seriennummern japanischer und koreanischer Pianos mit deutschen Instrumenten, so fällt auf, dass deutsche Hersteller im gleichen Zeitraum viel weniger Instrumente gebaut haben. Wie kann das sein? Die Erklärung liefert der Atlas der Pianonummern. Darin sollen über 2.500 Klaviermarken eingetragen sein. Das heißt, es gab in Zentraleuropa viel mehr Klavierhersteller als in Japan (Yamaha, Kawai und 2 weitgehend unbekannte Firmen) und Korea (Young-Chang, Samick, Daewoo, Hyundai).

Unser verstimmtes Klavier befindet sich auf der Tonhöhe von 422 Hertz. Im Gespräch informiere ich mich über den geplanten Einsatz. Wird es alleine oder mit anderen Instrumenten zusammen gespielt? Wie will die Klavierbesitzerin in Zukunft lernen? Mit Klavierlehrer oder alleine, eventuell über Tutorials im Internet? Das Klavier soll alleine gespielt werden, höchstens mit Gesangsbegleitung. Sänger sind dankbar, wenn sie nicht so hoch singen müssen. Doch sie haben in der Regel keinen Vergleich. Wenn sie in einem Chor singen, dann singt man dort meist mit 440 Hertz oder auch höher, da ja die Orchester höher stimmen. Irgend jemand glaubt oder man meint, dass die Musik auf dem hohen bzw. noch höheren Kammerton besser klingen würde. Es muss ja irgendeinen guten Grund dafür geben, dass sich eine so hohe Grundtonhöhe eingebürgert hat. Informiert man die Musiker über die wahren Hintergründe, dann bewirkt das ein massives Umdenken. Denn unsere Kirchenlieder sind zur einer Zeit entstanden, als der Kammerton in Deutschland einen halben Ton tiefer war, als er heute ist. Warum ist er heute einen halben Ton höher? Da er willkürlich im Rahmen einer globalen Konferenz zur Industrienorm internationalisiert worden ist. Das war 1939 also zum Anfang des Zweiten Weltkriegs, als die Nazis über die Normen der Gesellschaft bestimmten und die Industrie Normen einführte, um die Produktion zu verbilligen, indem man die Fachleute gegen angelernte Kräfte austauschte, denen heute die Maschinen und die Automatisierung folgt. Entgegen dem Rat bedeutender Musiker, die sich für 430 bzw. 432 Hertz einsetzten, wurde eine Empfehlung für 440 Hertz ausgegeben, die wir aufgrund des Umfelds der Konferenz (Stichwort Industrienorm) als Norm missverstanden haben. Wir haben es bis heute weitgehend versäumt, diese die Musik betreffende Vorgabe immer wieder zu hinterfragen, zu vergleichen und neu zu bewerten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm der zweimal in die NSDAP eingetretene Herbert von Karajan die Berliner Philharmoniker. In dieser Zeit lies er das Orchester auf 445 Hertz stimmen. Warum noch höher? Was gibt es für Gründe, einen höheren Kammerton zu wählen? Das können wir auch Militärkapellen fragen, die nämlich 460 Hertz als Kammerton wählen. Hat denn der Kammerton eine Wirkung? Natürlich hat Musik eine Wirkung – und die Wirkung unterscheidet sich, ob wir die gleiche Musik tiefer oder höher gespielt hören. Doch dafür fehlt uns in der Regel der Vergleich. Wir setzen uns so gut wie nie mit dem Kammerton auseinander. Daher kann man dieses für die musikalische Wirkung wesentliche Element so leicht missbrauchen. Tatsächlich ist der Zusammenhang der Wirkung des Kammertons völlig transparent. Betrachten wir einmal uns selbst. Wir haben einen Körper. Sagen wir, das ist unser Klangkörper, da ja die Person und Persönlichkeit auf das lateinische Wort personare zurückgeführt werden kann. Per-sonare würden die Schweitzer mit Durch-Tönen übersetzen, da man dort auch sagt, es tönt. Was drückt die Stimme aus? Man sagt, sie drückt unsere Persönlichkeit aus. Man könnte auch anders fragen: Was verrät unsere Stimme? Die Stimmlage spiegelt unsere innere Befindlichkeit. Sind wir entspannt, ist unsere Stimme tiefer. Sind wir dagegen angespannt, kreischen wir im Extremfall. Die Stimmlage ist nichts anderes als der Kammerton. Ein höherer Kammerton spannt uns an. Der tiefere Kammerton erleichtert die Entspannung.

Dies Gelegenheit zur Diskussion bekamen die Musiker der Berliner Philharmoniker aufgrund der Vorgabe durch Karajan. In dieser Zeit gab es einen Perkussionisten namens Werner Thärichen. Vermutlich in seiner Zeit als Professor für Orchesterleitung schrieb Thärichen 2 Handbücher. Die gibt es heute nur noch gebraucht. Eines davon heißt Immer wieder Babylon oder Musik als Sprache der Seele. Darin gibt es ein Kapitel über den Kammerton. Thärichen berichtet, dass die Musiker der Berliner Philharmoniker intensiv die Vor- und Nachteile des hohen Kammertons diskutiert hätten und sie übereinstimmend zu der Schlussfolgerung gekommen sind, dass erstens die menschliche Stimme den Trend zum immer höheren Kammerton limitiert, und zweitens 432 Hertz der bessere Kammerton wäre.

Zurück zu dem Klavier aus diesem Hörbeispiel: Nach einer genauen Analyse mittels Frequenzmessgerät entschied ich mich, das Klavier auf 421 Hertz zu stimmen, wodurch ich eine Vorstimmung vermeiden konnte. Somit bekommt nun zum einen die Sängerinnen in Begleitung zu diesem Klavier die Gelegenheit, sich selbst bei einem tieferen Kammerton zu erfahren. Zum anderen konnte ich dadurch die Mehrkosten für die Vorstimmung vermeiden, denn hier handelte es sich um den Sonderfall, dass mehrere Freundinnen der Klavierbesitzerin einen Gutschein über eine Klavierstimmung geschenkt haben.

Die Klavierstimmung entwickelte sich als ziemlich anstrengend. Der Grad der Anstrengung erhöht sich, wenn das Klavier schwer zu stimmen ist. Was erhöht in einem Klavier den Schwierigkeitsgrad fürs Stimmen? Die Qualität der Saiten. Eigentlich nutzen die japanischen Hersteller Pure Sound Saiten, die besser zu stimmen sind. Da die Instrumente jedoch teilweise im Fremdauftrag und auch nicht immer in Japan produziert werden, hat man es also relativ häufig auch mit Instrumenten zu tun, in die unter dem Spardiktat qualitativ geringer wertige unreine Saiten eingesetzt wurden. Im Klavier schlagen die Klavierhämmer außer in der untersten Oktave immer mehrere Saiten gleichzeitig an. Die Präzision des Einzeltons wird davon bestimmt, wie genau man die Saiten zueinander stimmen kann. Sind die Saiten unrein, ist das grundsätzlich nur bedingt möglich. Dadurch intensiviert sich das Bemühen um eine möglichst hohe Präzision, von der auch die Genauigkeit der Intervalle und somit die Harmonie der Stimmung abhängt. Wenn ich dann mit der Stimmung fertig bin und beim Probespiel feststelle, dass ich ein gutes Ergebnis erreicht habe, so muss ich auch heute noch gestehen, dass dies ein Beispiel von Emergenz ist. Das heißt, wenn man alle Kriterien für eine gute Stimmung konsequent verfolgt, dann provoziert man quasi die Emergenz einer in der Summe guten musikalischen Stimmung. Aber wir sind ja erst bei der Verstimmung. Soeben habe ich Ihnen etwas von den Schwierigkeiten während des Stimmens verraten. Noch wissen wir nicht, ob es mir auch diesmal gelingen wird, ein emergentes Ergebnis zu erreichen. Hören Sie selbst!

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